„Tempowahn“

Winfried Wolf begründet die Notwendigkeit der Entschleunigung

In seinem neuesten Buch Winfried Wolf: Tempowahn. Vom Fetisch der Geschwindigkeit zur Notwendigkeit der Entschleunigung, Wien
(Promedina) 2021, 223 Seiten, 19,80 €
stellt Winfried Wolf den Tempowahn in den größeren Zusammenhang der Entwicklung der Verkehrsmittel seit Beginn der industriellen Revolution. Dabei belegt er, dass die die erste große Neuerung nicht der Bahnverkehr war, sondern die gewaltige Ausdehnung des Schiffsverkehrs mittels umfangreicher Kanalbauten. Mit der Bahn allerdings gelang eine „qualitative Geschwindigkeitssteigerung“ (nicht zuletzt durch die neue Art der Streckenführung). Dies und alle weiteren Darlegungen in seinem Buch sind ‒ wie bei ihm üblich ‒ gut nachvollziehbar erläutert und dokumentiert.

Die Durchsetzung der dritten Transportrevolution – die Etablierung der Autogesellschaft – gelang nur mithilfe massiver staatlicher Hilfe. Nur so konnte sich das unrationelle und auch mörderische Transportmittel Auto durchsetzen, mörderisch vor allem wegen der jetzt gewaltig ansteigenden Zahl der Verkehrstoten, Verletzten und durch Lärm, Feinstaub usw. Geschädigten. In dieser Entwicklung spielte der Faschismus – vor allem in Italien und Deutschland – eine herausragende Rolle. Von den drei Ebenen, auf denen W. Wolf Parallelen zwischen Fordismus und Faschismus ausmacht, überzeugen vor allem seine Ausführungen zu „Fließband und vertakteter Arbeit“ sowie zum „Geschwindigkeitsfetischismus.“ Und er weist nach: „Letzten Endes demonstriert der Autobahnbau die Herrschaft des Regimes über die Natur, die Rücksichtslosigkeit gegenüber der Umwelt und die Durchsetzung einer hierarchisch strukturierten Willenskraft. […] Es ging um die gewaltsame Durchsetzung sehr spezifischer Interessen.“ (S. 97)

So richtig durchgesetzt hat sich die Autogesellschaft in Europa nach dem II. Weltkrieg und zwar mittels einer massiven Subventionierung des Autoverkehrs gegen die damals noch vorherrschende motorisierte Verkehrsform Eisenbahn, die „niederkonkurriert und ruiniert“ wurde (S. 61). Mit der ölbasierten Wirtschaft (Ölproduktion, Autoindustrie, Flugverkehr usw.) und vor allem mit dem motorisierten Individualverkehr lassen sich nun mal bedeutend mehr Profite generieren als mit der Aufrechterhaltung von Massenverkehrsmitteln und speziell der Eisenbahn.

Begleitet wurden und werden all die staatlichen Subventionen für die Autogesellschaft und den Flugverkehr (etwa die Steuerbefreiung für Kerosin) von spezifischen Mitteln zur Beeinflussung der Massenpsychologie. Nicht rein zufällig werden hier auch spezifische Momente befördert, die patriarchales Verhalten und Machogehabe vorantreiben. Autos werden immer größer und schwerer, die Autorennen nehmen zu wie auch schlicht alles, was unter „Asphalt-Aggression“ fällt. Erschreckend ist, was W. Wolf zu den illegalen Autorennen auf deutschen Autobahnen zusammenträgt. Jedes Jahr gibt es auf deutschen Straßen „mehr als eintausend illegale Autorennen, überwiegend ohne ein polizeiliches Eingreifen“. (S. 115). Keine unwichtige Rolle spielen natürlich die offiziellen Rennen, mit denen überhaupt erst die Menschen (vor allem die Heranwachsenden) für den Geschwindigkeitsrausch angefixt werden.

„Produzenten des Autowahns“

In Kapitel 9 führt W. Wolf diejenigen in Politik und Industrie an, die hier die größte direkte Verantwortung für die Fortführung der Autogesellschaft tragen, also die Verantwortlichen in der Autoindustrie mit all ihren Zulieferern und daran Verdienenden sowie natürlich die herrschende Politik. (Ich füge hinzu: Staatliche Stellen wirken hier recht konsequent im Rahmen der Konkurrenz der Wettbewerbsstaaten.) Dazu gehört der Bau von SUV und anderer schwerer – spritschluckender ‒ Fahrzeuge, die steuerliche Begünstigung von Dienstfahrzeugen (was speziell der deutschen Autoindustrie einen Konkurrenzvorteil verschafft) usw. Aber auch die Justiz und viele Prominente sind an diesem Gesamtkonzert beteiligt, wie der Autor gut erläutert.

Ein Aspekt allerdings kommt nach meinem Dafürhalten etwas zu kurz. W. Wolf schreibt auf S. 202: „Die Geringschätzung von menschlichem Leben in der Tempowahn-Gesellschaft kann auch die Form annehmen, dass der Tod billigend in Kauf genommen wird, um die beschleunigte Kapitalverwertung zu erhalten.“ (S. 202) Meines Erachtens geht es nicht nur um die Aufrechterhaltung einer beschleunigten Kapitalverwertung. Von den vier wesentlichen Faktoren zum Erhalt oder der Steigerung der Profitrate spielt – nach dem Bemühen zur Erzeugung relativen Mehrwerts – die Verkürzung der Umlaufszeit (als Teil der Umschlagszeit des Kapitals) heute die bedeutendste Rolle. Deshalb ist die Verkürzung der Wegezeiten so wichtig und wird im Zeitalter des Neoliberalismus mit allen nur erdenklichen Mitteln gefördert.

Hier greifen alle Momente ineinander, die auf Steigerung der Geschwindigkeit ausgerichtet sind: also schneller arbeiten (Erhöhung des absoluten Mehrwerts), schneller die Zulieferung bekommen (und dadurch weniger Kapital binden), schneller ausliefern usw. Die Hetze der Paketboten ist nur ein kleiner, winziger (aber für die Betroffenen gravierender) Ausdruck dieser durchgängigen Beschleunigung aller Arbeitsschritte – und damit der Kapitalverwertung. Entschleunigung richtet sich also – und hierauf hat W. Wolf ja an anderer Stelle in diesem Buch gut hingewiesen – direkt gegen die Interessen des Kapitals. Wertvoll finde ich auch den Hinweis, dass der Tempowahn nicht zuletzt zur Zerstörung von Kultur und Demokratie beiträgt (etwa bei Genehmigungsverfahren für neue Projekte). Und der Autor kommt in dem Abschnitt, in dem er die „Dromokratie“ (Geschwindigkeitsherrschaft) beschreibt zu dem Schluss: „Ja, es ist so. Revolution für die Menschen und für den Humanismus bedeutet vor allem: Entschleunigung ‒ Herausnahme von speed aus dem kapitalen System.“ (S. 206)

Nicht machtlos

Dass wir aber nicht machtlos sind, wird zurecht hervorgehoben. So haben die Proteste gegen die alle zwei Jahre stattfindende IAA (bislang in Frankfurt) die Macher (und die gesamte Autolobby) politisch strak in die Defensive gebracht. Sie weichen dieses Jahr – mit einem anderen Konzept, das uns aber nicht täuschen sollte – nach München aus. Letztlich kann dies – in Verbindung mit den auch sonst zunehmenden Aktivitäten für eine Verkehrswende (Sand im Getriebe, Wald statt Asphalt, …) ‒ die Stimmung etwa für die so wichtige Geschwindigkeitsbegrenzung fördern.

An dieser Stelle hätte ich einen kleinen Widerspruch zu den von W. Wolf in seinem neuen Buch dargelegten Vorschlägen anzumelden. Sehr richtig macht er sich stark für eine durchgehende Tempobeschränkung auf deutschen Straßen und zwar: 30 km/h in den Städten, 80 auf den Landstraßen und 120 auf den Autobahnen. Ich meine, dass ein anderer Dreiklang stimmiger wäre: 30 – 80 – 100. Denn wenn die Niederlande (seit Frühjahr 2020) die Höchstgeschwindigkeit auf 100 begrenzen, warum soll das nicht auch in Deutschland möglich sein? Eine Mehrheit der Bevölkerung ist – seit langem – für eine Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen auf 120 km/h. Doch auch diese Zahl lässt sich ändern, wobei zwei Argumente zentral sind: Erstens reduziert eine Beschränkung auf 100 km/h noch drastischer die Zahl der Toten und Verletzten und zweitens fördert dies den öffentlichen Verkehr (vor allem die Bahn) und trägt überhaupt zur Vermeidung von Verkehr bei. Eine andere Raumordnungspolitik (Infrastrukturpolitik) wird letztlich ein weiteres wichtiges Element sein, wobei wir betonen müssen: Jede Maßnahme zur Beschränkung des Autoverkehrs muss in ein Gesamtkonzept zur Verkehrsvermeidung und Entschleunigung eingebettet sein. Nur dann lassen sich die Menschen für die großen Veränderungen mitnehmen und sie zu aktiven Unterstützern in diesem wichtigen Kampf machen. Meine Randbemerkungen (es sind eher kleine Hinweise zur Ergänzung) sind keine Kritik an den von W. Wolf überzeugen dargelegten Ausführungen zum Tempowahn. Das Buch ist uneingeschränkt zu empfehlen. Ich wünsche ihm eine große Verbreitung.

Jakob Schäfer, 10. 6. 2021

Konversion der Automobilindustrie

Wie kann es gehen?

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Montag, den 17. Mai, 19:00 Uhr
Referent: Klaus Meier, Frankfurt/M.
Ingenieur und Hochschuldozent

Zu den größten Klimasündern gehört der Autoverkehr. Automobilkonzerne und Politiker wollen uns glauben machen, dass es reicht, alle Autos auf Elektroantriebe und Wasserstoff umzustellen. Doch stehen dazu die Ressourcen und die Energien überhaupt zur Verfügung? Sollten wir nicht die öffentlichen Verkehrsmittel ausbauen? Und wie steht es um die Arbeitsplätze in der Autoindustrie? Unser geladener Referent, Klaus Meier, hat zu den Themen Technologie und ökologischer Umbau zahlreiche Schriften verfasst. Wir wollen mit ihm die genannten Fragen klären.

https://us02web.zoom.us/j/89383597154?pwd=cHZrWnMyWVNuK3cvS1BNQ1ROK2RIQT09

Meeting-ID: 893 8359 7154
Kenncode: 956979

Solidarität mit den Beschäftigten im ÖPNV
Mit kräftigen Lohnerhöhungen und kürzeren Arbeitszeiten für die Verkehrswende!

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Wir meinen: Eine kräftige Entgelterhöhung ist aus zwei Gründen dringend: Erstens verdienen die Fahrerinnen und Fahrer sowie die anderen Beschäftigten der Verkehrsbetriebe viel zu wenig, um davon gut genug leben zu können.

Zweitens muss der ÖPNV massiv ausgebaut werden. Dafür braucht man bedeutend mehr Fahrer\-*\-innen und die bekommt man nur, wenn das Geld stimmt.

Deswegen sollte am besten eine tabellenwirksame Erhöhung der Entgelte um 300 Euro bei einer Laufzeit von 12 Monaten durchgesetzt werden. Außerdem: Schichtdienst in einem so verantwortungsvollen Beruf muss besser honoriert werden. Deswegen: Höhere Zuschläge für Spätschicht und Wochenenddienste und an Feiertagen.

Schon aus Gründen des Gesundheitsschutzes muss die Arbeitszeit vor allem für die Fahrer*innen deutlich reduziert werden. Mehr als gerechtfertigt ist unserer Ansicht nach deswegen ein Kampf um die 30-Stunden-Woche bei vollem Entgeltausgleich sowie 30 Tage Urlaub für alle sofort.

Pausen ausdehnen, Ruhezeiten verlängern, die gesamte Arbeitszeit bezahlen!

Fahrplanbedingte Fahrtunterbrechungen verlängern die faktischen Dienstzeiten. Auch für die Wegezeiten zur Übernahme eines Fahrzeugs auf der Strecke muss gelten: Volle Anerkennung all dieser Zeiten als Arbeitszeiten und Verlängerung der Mindestruhezeiten auf 14 Stunden.

Das Argument der leeren Kassen zieht nicht. Schließlich hat man für die Lufthansa 9 Mrd. € zur Verfügung gestellt, ohne auch nur Entlassungen auszuschließen. Stadt und Land sind gefordert, die nötigen Mittel aufzubringen. Denn erstens haben es die Beschäftigten verdient und zweitens ist dies eine elementare Voraussetzung für die dringend erforderliche Verkehrswende.

Verkehrswende jetzt!

All dies sind notwendige Voraussetzungen, um in absehbarer Zeit eine wirkliche Verkehrswende hinzubekommen, d.h. weniger Autoverkehr, mehr Öffentlicher Nah- und Fernverkehr. Wer soll in Zukunft die zusätzlichen Verkehrsmittel, die eine Verkehrswende erfordert, fahren, warten, reparieren? Ohne eine höhere Bezahlung, ohne kürzere Schichten werden die Arbeitsbedingungen im ÖPNV so unattraktiv bleiben wie bisher und damit schon von der personellen Seite her eine Verkehrswende unmöglich machen.

Eine Verkehrswende ist deswegen so dringend, weil zur Abwendung der Klimakatastrophe vor allem der CO2-Ausstoß im Verkehrssektor drastisch reduziert werden muss. Wenn sich die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe in diesem Land also für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen einsetzen, dann handeln sie damit im Sinne ökologischer Verantwortung und für das Allgemeinwohl. Ihr Kampf ist ein tragender Pfeiler des Kampfes für eine Verkehrswende und der Vermeidung einer Klimakatastrophe. Wir haben nicht mehr unendlich Zeit, um eine Verkehrswende zu erreichen. Wenn wir die Klimakatastrophe abwenden wollen, müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um einen schnellen Umbau des Verkehrswesens zu erzielen. Und auch zu diesem Zweck fordern wir den ÖPNV zum Nulltarif.

Für den Nulltarif ohne Wenn und Aber

Ein weiterer wichtiger Baustein für das Umsteuern auf eine massive Nutzung des ÖPNV ist seine kostenlose Nutzung. Dies muss ohne Einschränkung und sofort erfolgen. Auch ein 365-Euro-Ticket reicht dazu vorne und hinten nicht. Es dient zurzeit nur dazu, vom Kampf für den erforderlichen Ausbau und eine kostenlose Nutzung des ÖPNV abzulenken. Die Klimabewegung und die abhängig Beschäftigten der Verkehrsbetriebe (MVG, ESWE, Bahn usw.) verfolgen also gemeinsame Ziele. Lasst uns dies in Zukunft koordiniert und entschlossen angehen!

Klar muss uns sein, dass verbesserte Arbeitsbedingungen, eine Erhöhung der Löhne und eine Verkehrswende nicht mit Bitten und guten Worten erreicht werden. Nur wenn die Beschäftigten sich aktiv dafür einsetzen und die Auseinandersetzung nicht scheuen, kann Nennenswertes durchgesetzt werden. Und in diesem Kampf muss auch die Öffentlichkeit in der Stadt einbezogen werden, denn sie wird es sein, die bei einer Verkehrswende gewinnt!

Die ganze Bäckerei

Der Referent unserer Veranstaltungen am 10. und 11. April 2019, Winfried Wolf, sprach auf Einladung von Fridays for Future am 22. März 2019 auf der Demo der Schülerinnen und Schüler vor dem Landtag in Düsseldorf.
Das folgende Transkript haben wir von den Nachdenkseiten kopiert.
Danke für Eure Einladung hierher nach Düsseldorf. Die 450 Minuten Fahrzeit von Berlin nach Düsseldorf mit der Bahn hin und zurück sind es wert, hier vier oder maximal fünf Minuten reden zu können. Ich bringe damit auch meinen großen Respekt vor Euch und Eurem Engagement zum Ausdruck.

Mein Beitrag geht auf drei Punkte ein: erstens auf das Klima und die Verkehrspolitik im Allgemeinen und die Alternativen. Zweitens auf das Totschlagargument mit den Arbeitsplätzen. Und drittens auf die notwendige Weltbewegung einer ALL-days-for-future-Bewegung.

Zum Verkehrssektor und zur Klimaerwärmung. Ja, der Verkehr und hier vor allem der Autoverkehr und der Flugverkehr sind mit-verantwortlich für die massive Klimaerwärmung. Sie tragen zu einem Fünftel bis zu einem Viertel zu den CO-2-Emissionen bei. Und das ist dann auch derjenige Bereich, in dem die Klimagase deutlich ansteigen.

Elektroautos sind dabei keine Lösung des Problems. Sie sind vielmehr Teil des Problems. Und zwar deshalb, weil ein Elektro-Pkw erstens einen „ökologischen Rucksack“ hat: bei dessen Produktion werden viel mehr CO-2-Emissionen freigesetzt als bei einem normalen Pkw, dies vor allem wegen der Batterieproduktion. Zweitens wegen des Strom-Mix´: Es gibt immer einen relevanten Anteil an Strom aus Verfeuerung von fossilen Brennstoffen. Drittens weil mehr als die Hälfte der Elektro-Pkw Zweit- und Drittwagen sind – sie steigern die Pkw-Dichte in den Städten; machen die zerstörerische Blechlawine gerade da, wo sie besonders schädigend ist, nämlich in den Stadtzentren, nochmals größer. Und drittens, weil wir mit Elektro-Pkw die Abhängigkeit von Öl ersetzen durch eine neue Abhängigkeit von anderen knappen Ressourcen – so von Kobalt, Kupfer und Lithium. Es gibt dann anstelle von Ölkriegen Kobalt-Kriege, Kupfer-Kriege um Lithium-Kriege.

Die Lösung der Mobilitätskrise ist eine ganz praktische. Vergleichen wir doch einmal Düsseldorf mit Kopenhagen. Beide Städte sind gleich groß. Sie haben jeweils gut 600.000 Einwohner. Beide Städte sind ähnlich flach. In beiden Städten gibt es ähnlich viele Regen- oder Sonnentage.

In Kopenhagen werden mehr als 60 Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. In Düsseldorf liegt der Anteil bei knapp 20 Prozent – bei weniger als einem Drittel des Wertes der dänischen Hauptstadt. Nehmen wir den Kopenhagen-Anteil beim Radverkehr als Ausgangspunkt, addieren wir zu den gut 60 Prozent Radwege rund 15 Prozent Fußwege-Anteil und dann noch gut 20 Prozent ÖPNV-Anteil hinzu. Dann verbleibt ein Rest von weniger als 10 Prozent für den Autoverkehr. Da ist es dann fast egal, ob das Diesel-Pkw, Benziner oder Elektro-Autos sind. Meinetwegen gerne alles Elektroautos. Aber eben nur 10 Prozent Autoverkehr – anstelle von den derzeit mehr als 50 Prozent in Düsseldorf und anderen deutschen Städten.

Eine solche Grundordnung im Verkehr mit dem Vorrang Fahrrad und Fußgänger muss kombiniert werden mit einem Ausbau des ÖPNV, mit einem Nulltarif im ÖPNV, mit einem Ausbau der Schiene in der Fläche und mit Nachtzügen, die einen großen Teil der Kurzstrecken- und Mittelstreckenflüge ersetzen können.

Übrigens: Greta Thunberg reiste im Januar dieses Jahres mit der Eisenbahn von Stockholm nach Davos, um dort vor den Bossen des Weltwirtschaftsforums ihren Appell in Sachen Klimapolitik vorzutragen. Sie musste dabei fünf Mal umsteigen – drei Mal in Deutschland. Dabei dürfte die Wahrscheinlichkeit, einen Anschluss der Deutschen Bahn zu verpassen, ziemlich groß gewesen sein.

Ich habe mal nachprüfen lassen, wie das früher war. Vor vier Jahrzehnten hätte Greta eine Zugverbindung gehabt, bei der sie nur ein Mal hätte umsteigen müssen. Und sie hätte von der Schweiz bis Kopenhagen einen durchgehenden Zug, und auf der Hauptstrecke – Schweiz bis Kopenhagen – einen bequemen Nachtzug nutzen können.

Daran sieht man, was alles möglich war. Und was alles möglich ist, um einen flächendeckenden, guten Schienenverkehr zu bekommen, der viele der extrem klimaschädigenden Flüge ersetzen würde.

Zum zweiten Aspekt, dem Totschlagargument mit den Jobs. Ja, es gibt in Deutschland derzeit 820.000 Jobs in der Autoindustrie. Doch es ist die Autoindustrie selbst, die diese Jobs zerstört – durch Automatisierung, durch Roboterisierung, durch Umstellung auf Elektro-Auto-Produktion und durch Auslagerung nach Osteuropa und Asien. Allein bei den deutschen Werken von VW, Opel und Ford steht in den kommenden fünf Jahren ein Job-Abbau in der Größenordnung von 55.000 Arbeitsplätzen an.

Sodann ist wichtig: Mit der Verkehrswende werden neue Jobs geschaffen. Und diese können auch in der Autoindustrie geschaffen werden, dann wenn es Konversion, einen Umbau dieser Industrie gibt. Neue Jobs, um Eisenbahnwagen, um Loks, um Triebfahrzeuge und um Fahrräder herzustellen bzw. um dafür die Infrastruktur bereitzustellen.

Im Übrigen stehen wir hier für ALL days for future – für ein gesamtgesellschaftliches Projekt und damit auch für gesamtgesellschaftlich sinnvolle Arbeitsplätze. Nicht für Jobs um der Jobs willen.

Nehmen wir doch mal die Situation in den Schulen, bei Euch. Wir haben derzeit in Deutschland rund 1,2 Millionen Arbeitsplätze im Bereich Erziehung, Schulen und Hochschulen. Das sind bereits viel mehr als im Bereich der Autoindustrie. Sind das zu viele? Nein, es sind zu wenige. Siehe den permanenten Ausfall von Unterrichtsstunden. Siehe die viel zu großen Klassengrößen.

Wenn wir nur die Verhältnisse in Skandinavien nehmen würden – und ich rede nicht vom Sozialismus, ich rede „nur“ von Schweden oder Dänemark – wenn wir nur die Klassengrößen und Seminargrößen und die Größe der Kita-Gruppen nehmen, die es dort gibt. Dann bräuchten wir in Deutschland 800.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Das sind ebenso viele, wie es derzeit in der gesamten Autobranche Jobs gibt.

Es geht nicht abstrakt um Arbeitsplätze. Es geht um sinnvolle, um gesellschaftlich wichtige und um klimaverträgliche Arbeitsplätze.

Nochmals zum Aspekt ALL days for future: Der Gründer des Potsdam Institut für Klimaforschung, Hans Joachim Schellnhuber, sagte jüngst: „Wir steuern in einem Irrsinnstempo auf eine unbeherrschbare globale Situation zu. Aber viele Medien berichten nur noch mit gequälter Beiläufigkeit darüber.“

Schellnhuber sagte weiter: Nur eine „Weltbürgerbewegung“ könne die sich abzeichnende Klimakatastrophe – gewissermaßen zwei vor zwölf – noch stoppen.

Wir sagen: Das hier – die Bewegung Fridays for Future – ist ein Ansatz für eine solche Weltbürgerbewegung.

Und wenn da ein Herr Armin Laschet, der Ministerpräsident dieses Landes [Nordrhein-Westfalen], sagt: „Schön und gut – aber bitte keine Streiks in der Schulzeit“, dann ist das dümmlich und dreist.

Wir sagen dazu vor diesem Landtag:

Herr Laschet, Frau Kanzlerin und Herr US-Präsident: Sie und ihre Vorgänger in diesen Ämtern hatten Jahrzehnte Zeit, wirksame Maßnahmen gegen die Klimaerwärmung zu ergreifen. Bereits 1992 bei der Klimakonferenz in Rio de Janeiro hieß es, die CO-2-Emissionen müssten reduziert werden. Und was ist passiert? Sie sind heute um 50 Prozent höher als 1992. Und es sind Ihre Maßnahmen, Herr Laschet, Frau Merkel und Mr. Trump, es ist Ihre Politik, mit der die Klimaerwärmung beschleunigt wird. Und zwar zu Lande, zu Wasser und in der Luft: Zu Lande mit der fortgesetzten Steigerung des Autoverkehrs – und sei es mit Elektroautos. Auf dem Wasser durch den Boom mit Kreuzfahrschiffen und die Expansion der Containerschifffahrt. Und in der Luft mit der ständigen Steigerung der Billigfliegerei.

Wir wollen nicht etwas weniger Plastik. Wir wollen nicht etwas mehr Elektroautos. Diese Bewegung Fridays for Future will All days for Future. Wir wollen keine kleinen Brötchen. Wir wollen die ganze Bäckerei. Eine Gewerkschaft, die angesichts der Bedrohung auf diesem Planeten ihren Namen verdient, muss so agieren, heißt DGB, heißt: Die Ganze Bäckerei.

Wir wollen eine Gesellschaft, in der anstelle von Profitgier, Klimazerstörung und Wachstumszwang die Solidarität, die Nachhaltigkeit und die Solidarität im Zentrum stehen.

Flugblatttexte

System Change not Climate Change!
Für eine radikale Wende in der Verkehrspolitik!

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Rund ein Fünftel aller klimaschädlichen Emissionen werden im Verkehrssektor erzeugt, was vor allem dem motorisierten Individualverkehr geschuldet ist. Ebenfalls verheerend sind die Auswirkungen bei Stickoxiden und Feinstaub. Laut Umweltbundesamt sterben jährlich rund 40.000 Menschen an den Folgen. Feinstaub gilt unter anderem als krebserregend.

Eine radikale Wende in der Verkehrspolitik stößt sich allerdings an den Profiteuren der kapitalistischen Autogesellschaft. Durchgesetzt wurde diese mithilfe einer systematischen Zerschlagung des öffentlichen (elektrisch betriebenen) Schienenverkehrsnetzes durch die Erdöl- und Automobilkonzerne. Das wohl bekannteste Beispiel ist der Großraum von Los Angeles, der einst durch das weltweit größte Straßen- und S-Bahnsystem komplett erschlossen war und der jetzt nach dessen Zerschlagung zur Auto- und Smoghauptstadt der USA mit einem teils 15-spurigen Autobahnnetz auf bis zu 4 Ebenen wurde.

In Deutschland wuchs das Autobahnnetz zwischen 1950 und 2005 um 250%, während das Schienennetz von 54.000 auf 39.000 km zurückging. Analog wurde die Infrastruktur für den Güterverkehr auf der Schiene zurückgefahren: Innerhalb der letzten 20 Jahre hat sich die Zahl der Gleisanschlüsse für Firmen von 10.000 auf 2.000 gefünftelt. Die Pro-Kopf-Investitionen für die Schieneninfrastruktur liegen mittlerweile in Deutschland bei 69 € pro Jahr, in der Schweiz bei 362 €.

Dieser Prozess wurde im Zuge der neoliberalen Privatisierungspolitik forciert, indem der Öffentliche Personen Nahverkehr (ÖPNV) aus der öffentlichen Daseinsvorsorge genommen und der kapitalistischen Konkurrenz unterworfen wurde. Die Automobil- und Erdölkonzerne bestimmen durch ihre Lobby die Verkehrspolitik, wie aktuell die Diskussion über Tempolimits und Fahrverbote für Dieselfahrzeuge zeigt.

Die wenigen Beispiele zeigen, dass das herrschende Gesellschafts- und Wirtschaftssystem strukturell unfähig ist, die dringend gebotene Wende zu vollziehen, und zwar nicht nur in der Verkehrspolitik!

Im Kampf für eine lebenswerte Zukunft kommt einer intensiven Kampagne für den massiven Ausbau und die kostenlose Nutzung des ÖPNV eine besondere Bedeutung zu. Vor allem das Straßenbahnnetz und die Einführung von elektrisch betriebenen Mini- und Midi-Bussen, die alle Stadtteile ausreichend versorgen, haben großen Stellenwert.

Wer sich an unseren diesbezüglichen (und ähnlich gelagerten) Aktivitäten zur Erzeugung entsprechenden Drucks auf die Verantwortlichen beteiligen will, ist dazu herzlich eingeladen. Ort und Termin unserer Treffen finden sich auf unserer Website.


Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) zum Nulltarif

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Der Autoverkehr nimmt Jahr für Jahr zu. Die Tageshöchstwerte bei Feinstaub, Ozon und Stickstoffoxiden überschreiten immer wieder die zulässigen Grenzwerte. Was tun? Weiter so?
Ein Aussitzen des Problems wird die Städte noch unwirtlicher werden lassen. Ein Fahrverbot? Für welche Kategorien? Alte Autos? Nur Dieselfahrzeuge? Das Problem der Luftverschmutzung, der Lärmbelästigung und der Verödung der Städte durch die erdrückende Gegenwart von Blech und Asphalt wird nicht dadurch gelöst, dass mal an dieser, mal an jener Schraube gedreht wird.

Es geht um mehr als Lärm, Blech und Asphalt. Es gibt nur eine realistische Lösung: Den ÖPNV zum Nulltarif und seinen massiven Ausbau!! Es geht um die Fragen: Wie wollen wir in den nächsten Jahrzehnten leben? Möchten wir weiter in einer Stadt mit hoher Luftverschmutzung leben? Welchen Beitrag können Mainz und Wiesbaden leisten, um dem Klimawandel zu begegnen? Und nicht zuletzt darum, einen Vorschlag auf den Tisch zu legen, der zum ersten Mal den Bewohnern der Städte zugute kommt, die immer schon mit einem schmalen Budget auskommen mussten.

Der ÖPNV zum Nulltarif hat nur Vorteile und bietet einen kurzen Weg zu effektiven Resultaten:

Kostenloser ÖPNV ist wirkungsvolle Klimapolitik: Anstelle von Dieselsubventionen, milliardenschweren Ausbaumaßnahmen und Dauerreparaturen des Straßensystems oder auch den Subventionen in den Klimakiller Elektroauto ist der ÖPNV zum Nulltarif die erste Form praktischer kostensparender Klimapolitik im Verkehrssektor. Der ÖPNV zum Nulltarif ist das Verkehrskonzept der Zukunft, wenn er Teil einer allgemeinen Verkehrswende sein wird. Der automobile Individualverkehr ist ein Auslaufmodell und sein Verschwinden aus den Städten wird einen verkehrspolitischen Alptraum beenden. Die TU Dresden hat in einer Studie Die Studie von U.Becker; T.Becker; J.Gerlach: Externe Autokosten in der EU-27 erschien 2012 und bezieht sich auf Daten aus dem Jahre 2008 errechnet, dass in der BRD jedes Automobil mit ca. 2000,00 €/Jahr subventioniert wird. Wenn ein Bruchteil davon fortfällt und in eine Verkehrswende fließt, wird sehr viel gewonnen sein. Allein dafür lohnt es sich schon mobil zu machen!

Redebeitrag von Janina Wilms auf der Kundgebung „Rettet das Klima, nicht die Banken und Konzerne!“ am 3.8.2019 in Mainz

Die Auswirkungen des Klimawandels treten immer häufiger zu Tage. Die Wetterextreme mit immer neuen Hitzerekorden, sowie Starkregen und Überschwemmungen häufen sich. Die Gefahr eines ökologischen Kollaps steigt von Tag zu Tag, weil der Klimawandel durch die ausbeuterische Produktionsweise des kapitalistischen Wirtschaftssystems und unserer damit verbundenen Lebensweise immer weiter befeuert wird.

Dieses Wirtschaftssystem richtet sich nur nach dem Prinzip der Profitmaximierung der Konzerne und des Überlebens im Konkurrenzkampf der Unternehmen. Dieses Prinzip treibt unumgänglich zu immer größerer Produktion an und diese speist sich aus der Ausbeutung einerseits der Arbeitskraft der Menschen und andererseits aus den Ressourcen und der Fruchtbarkeit der Erde.

Dieses grenzenlose quantitative Wachstum steht im Widerspruch zu den begrenzten Rohstoff- und Energiereserven und ist mit einem respektvollen Umgang mit den Menschen und der restlichen Natur nicht vereinbar.

Diejenigen, die im Sinne der Kapitalinteressen entscheiden, sind nicht in der Lage, die uns bevorstehende Katastrophe einzudämmen. Umweltschutz ist ein Wettbewerbsnachteil für die Unternehmen und für die Staaten, die sich als Wirtschaftsstandorte verstehen.

Es ist also zwingend notwendig, dass wir die Entscheidungsmacht darüber gewinnen, welche Maßnahmen zur Rettung des Klimas durchgeführt werden müssen.

Und dabei geht es nicht nur um unser persönliches Konsumverhalten, das zu ändern reicht nicht aus.

Es geht um eine demokratisch geplante Wirtschaft, die das Wohl der Menschen und einen sinnvollen Umgang mit seinem Stoffwechsel mit der Natur zum Ziel hat. Wir müssen ein rationales Wirtschaftssystem aufbauen, das Gebrauchswerte schafft, die allen Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen und unseren Ressourcenverbrauch gleichzeitig reduziert.

Erste Schritte dahin bedeuten die Vergesellschaftung des Energiesektors mit einem sofortigen Ausstieg aus den fossilen Energien. Die Abschaffung des Privateigentums an natürlichen Ressourcen wie Wasser, Boden und Saatgut. Und die Abschaffung aller unnötigen Produktionszweige, allen voran der Rüstungsindustrie.

Die allgemeine Überproduktion muss beendet werden und die notwendige Arbeit so verteilt werden, dass es zu einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich kommt.

Schlussendlich muss jeder Privatbesitz an Produktionsmitteln unterbunden werden, und einer demokratischen Produktion weichen.

Wollen wir für diese Veränderungen kämpfen, müssen wir an konkreten Punkten unseres Lebens beginnen. So brauchen wir zum Beispiel eine weitreichende Verkehrswende, da der Verkehrssektor insgesamt bis zu einem Viertel für die klimaschädlichen Emissionen verantwortlich ist.

Die „roten“ Verkehrsarten wie Autofahren und Flugverkehr müssen massiv eingeschränkt werden. Die „grünen“ Verkehrsarten, zu Fuß gehen, Rad fahren, Bus und Bahn müssen gestärkt werden.

Dafür brauchen wir Fahrradstraßen, Fußgängerzonen und einen massiven Ausbau des ÖPNV zum Nulltarif. Nur so ist eine sozial und umweltverträgliche Mobilität für alle möglich.

Außerdem müssen wir für eine Politik der kurzen Wege eintreten. Die Verdrängung von bezahlbarem Wohnraum aus den Städten muss aufhören. Die Wege zum Arbeitsplatz, zur Schule, für das Einkaufen und die Freizeit müssen verkürzt werden. Die Städte sollen lebenswerte Orte werden, in denen Wohnen, Arbeiten, die Kultur, das Spielen der Kinder Platz haben. Die lebendige Stadt, die Lebensraum der Menschen ist, und nicht der Profitmaximierung des Kapitals dient, geht mit den klimafreundlichen Verkehrsarten Hand in Hand.

Die autofreie Stadt muss unser Ziel sein. Darüber hinaus muss die Produktion der Lebensmittel möglichst regional stattfinden und lange Lieferwege vermieden werden. Der notwendige Güterverkehr muss auf die Schiene verlagert werden und die Bahn muss günstig und verlässlich werden und Flüge deutlich reduziert werden.

Aber das ist nur ein Teil von zahlreichen Veränderungen, die nötig sind, und die Kämpfe, die zu führen sind, sind vielfältig. Es ist wichtig, dass wir uns allen in diesen gewerkschaftlichen, sozialen, klimapolitischen und antirassistischen Kämpfen unterstützen. Wir müssen an vielen Stellen versuchen, den regulären kapitalistischen Betrieb, der den Klimawandel immer weiter antreibt, zu stören. Wir müssen streiken, blockieren, uns gegenseitig bilden und Bewusstsein schaffen. Wir müssen uns der rassistischen Hetze entgegenstellen und allen Schutz bieten, die diesen bedürfen, denn die Umweltprobleme werden immer deutlicher mit den sozialen Problemen zusammenfallen.

Ein menschenwürdiges Leben als Teil einer Natur, die uns dieses ermöglicht ist unser aller Interesse und muss verteidigt werden gegen den Raubbau des kapitalistischen Gesellschaftssystems, das dabei ist, all dieses an die Wand zu fahren.